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Manche Leute beklagen sich, dass sie von ihrer Vergangenheit heimgesucht werden. Völliger Blödsinn! Ich genieße sie!
Baron Wladimir Harkonnen, der Ghola
Mit beschädigten Triebwerken und ausgebrannten Waffen war die Ithaka von der Maschinenflotte schachmatt gesetzt worden. Duncan blieb nichts übrig, als zu warten und um seinen toten Freund zu trauern. Konsequenzen und Erinnerungen bestürmten ihn. Er ging systematisch vor und verließ sich auf seine Mentatenkonzentration, um selbst einfache Handlungen auszuführen.
Sheeana war neben ihm auf der Navigationsbrücke. Obwohl sie sich ihrer Bene-Gesserit-Disziplin rühmte und alle Emotionen unter Kontrolle hielt, wirkte sie zutiefst besorgt, als sie gemeinsam Tegs Leiche aufhoben. Duncan konnte nicht fassen, wie zerbrechlich und leicht die Überreste des Bashars waren. Er schien nur noch aus Sehnen und Spinnweben zu bestehen, aus trockenen Blättern und hohlen Knochen.
»Miles hat für uns alle sein Leben geopfert«, sagte Duncan.
»Zum zweiten Mal«, erwiderte sie.
Ihre Bemerkung erinnerte Duncan an all die Leben, die er für die Atreides geopfert hatte. Mit krächzender Stimme sagte er: »Diesmal war das Opfer umsonst. Miles hat den Rest seiner Lebensspanne verbraucht, um für uns die notwendigen Reparaturen durchzuführen, und ich konnte der Falle des Feindes trotzdem nicht entkommen. Er hätte es gar nicht erst versuchen sollen.«
Sheeana fixierte ihn mit hartem Blick. »Er hätte es nicht versuchen sollen? Wir sind Menschen! Wir müssen es einfach versuchen, ganz gleich, wie schlecht die Chancen stehen. Es gibt niemals eine Garantie. Jede Handlung im Leben ist ein Glücksspiel. Der Bashar hat bis zum letzten Augenblick seiner Existenz gekämpft, weil er fest daran geglaubt hat, dass es eine Chance gibt. Ich beabsichtige, das Gleiche zu tun.«
Duncan blickte in das eingefallene, mumifizierte Gesicht seines Freundes und erinnerte sich an die Entschlossenheit und das harte Training, das er als junger Ghola vom alten Bashar erhalten hatte. Sheeana hatte recht. Auch wenn Duncan es nicht geschafft hatte, die Ithaka zu befreien, hatten Miles und er dem Feind gezeigt, dass Menschen unvorhersagbar und widerstandsfähig waren, dass man sie nie unterschätzen durfte. Und es war noch nicht vorbei. Statt sie einfach gefangen zu nehmen, waren die Denkmaschinen gezwungen gewesen, eins ihrer größten Schlachtschiffe zu opfern, nur damit sie aufgehalten wurden.
»Wir werden ihn zu einer kleineren Luftschleuse bringen«, verkündete er. Da ihre Bewegungen nun von Feindschiffen diktiert wurden, die die Ithaka mit sich zogen, war es sinnlos, an den Kontrollen zu bleiben. »Ich will nicht, dass er den Denkmaschinen in die Hände fällt.«
Die sterblichen Überreste des Bashars würden einsam durch den Kosmos treiben. Die Überlebenden an Bord mochten in Gefangenschaft geraten oder für Experimente der Denkmaschinen benutzt werden – oder aus welchem Grund auch immer der alte Mann und die alte Frau sie jahrzehntelang verfolgt hatten. Aber nicht Miles. Dieser Akt war ein weiterer kleiner Sieg – und mit vielen kleinen Siegen konnten man durchaus einen Krieg gewinnen.
Sie fanden sich vor einer kleinen Kammer ein, und Duncan sah, dass es dieselbe Luftschleuse war, durch die er den letzten persönlichen Besitz von Murbella hinausbefördert hatte – Dinge, die wie Spinnweben an ihm geklebt hatten, bis er sich gezwungen hatte, sie loszulassen. Sie legten die leichte Hülle von Teg in die Kammer und verschlossen sie. Duncan blickte durch das Sichtfenster und verabschiedete sich von seinem Freund.
»Das ist nicht die Zeremonie, die ich mir für ihn gewünscht hätte. Beim letzten Mal war ganz Rakis der Scheiterhaufen für den Bashar. Aber jetzt fehlt uns die Zeit.« Bevor er es sich noch einmal überlegen konnte, drückte Duncan den Knopf, mit dem die Luftschleuse evakuiert wurde. Das Außenschott öffnete sich, und die Leiche wurde ins Vakuum hinausgeschleudert. »Wir sollten alle Passagiere an Bord zusammenrufen und unsere Verteidigungsmaßnahmen vorbereiten.«
»Was für Verteidigungsmaßnahmen?«
Er blickte sie an. »Alles, was uns einfällt.«
* * *
Hundert Schiffe der Denkmaschinen drängten das schwer angeschlagene Nicht-Schiff zur Landung in Synchronia, wo sich Gebäude zur Seite schoben, um ausreichend Platz zu schaffen. Die nunmehr sichtbare Ithaka ging wie ein gefangenes wildes Tier nieder, die Trophäe von Großwildjägern.
Für Baron Harkonnen war es ein glorreicher Anblick. Von einem Balkon an einem von Omnius' kapriziösen hohen Türmen betrachtete er das Schiff, während es landete. Die Konfiguration des Nicht-Schiffes war ihm unbekannt. Es war gewaltig, aber nicht so ehrfurchtgebietend, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Konstruktion wirkte viel organischer und fremdartiger als die riesigen Heighliner der Gilde, als die tödlichen Einheiten der Sardaukar, als Schlachtschiffe des Hauses Harkonnen. Es schien sich um eine konvergente Evolution zu handeln, da sie auf unheimliche Weise den fließenden Formen der Denkmaschinen ähnelte.
Seltsames Schiff, seltsame Passagiere.
Nach den ersten Berichten der Erkunder, die das Nicht-Schiff gefangen gesetzt hatten, hielten sich an Bord viele Gholas aus seiner eigenen Vergangenheit auf, wiederbelebte Ärgernisse aus der Geschichte, genau wie Erasmus vermutet hatte – Lady Jessica, ein zweiter Paul Atreides, ein Schwertmeister namens Duncan Idaho und andere. Gholas, die ausgehustet und wie Schleimklumpen ausgespuckt worden waren.
Ein aufgeregter Paolo stand neben ihm auf dem Balkon und betrachtete den improvisierten Raumhafen, der auf das neu eingetroffene Schiff wartete. »Werden wir sie alle töten, Großvater? Ich will nicht, dass es einen zweiten Kwisatz Haderach gibt. Ich sollte der einzige sein. Ich sollte jetzt sofort die Ultramelange nehmen, die Khrone mitgebracht hat.«
»Ich würde sie dir geben, wenn ich könnte, mein lieber Junge, aber Omnius würde es nicht erlauben. Hab Geduld. Selbst wenn es an Bord des Nicht-Schiffes eine zweite Version von Paul Atreides gibt, dürfte er weich und mitfühlend sein. Er hatte nicht den Vorteil, durch mich abgehärtet zu werden.« Die vollen Lippen des Barons verzogen sich vor Abscheu. Paolo war sich gar nicht bewusst, wie sehr er sich im Vergleich zu seiner ursprünglichen Persönlichkeit verändert hatte. »Du wirst keine Schwierigkeiten haben, dich gegen ihn durchzusetzen.«
»Ich habe es bereits in meinen prophetischen Träumen gesehen«, gab Paolo zurück, »und jetzt verstehe ich, was geschehen wird.«
»Dann gibt es nichts, weswegen du dir Sorgen zu machen brauchst.«
Die von Omnius gestalteten Gebäude schwankten wie Schilfhalme, dann umschlossen sie das ramponierte Nicht-Schiff, während es niederging, und drückten die Ithaka auf ein metallenes Ruhebett. Die Landung und der Andockvorgang schienen ewig zu dauern. War es wirklich notwendig, dass so viele Klammern und Kupplungen das Schiff wie Krallen umschlossen? Angesichts der offenkundigen Schäden an den Triebwerken würde es den Gefangenen niemals gelingen, es noch einmal zu starten. Doch Omnius neigte zu drastischen Maßnahmen, was der Baron gut verstehen konnte.
Schließlich erschien Erasmus auf dem Balkon, erneut in der Verkleidung als matronenhafte alte Frau. Der Baron musterte den Roboter leidenschaftslos und verkündete: »Ich werde an Bord des Nicht-Schiffes gehen. Ich will der Erste sein, der ...« – seine Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Grinsen – »... unsere Besucher begrüßt.«
Die Augen der alten Frau funkelten. »Bist du dir sicher, dass das eine kluge Entscheidung ist? Wir wissen noch nicht genau, wer sich an Bord des Schiffes befindet. Du könntest in Gefahr geraten, wenn jemand dich wiedererkennt. In deinem ersten Leben gab es etliche Menschen, die dir nicht gerade große Sympathie entgegengebracht haben.«
»Ich habe nicht vor, ungeschützt zu gehen! Ich erwarte sogar, dass du für meine Sicherheit sorgst. Gebt mir ein paar von euren Wachrobotern mit – oder noch besser, einen bewaffneten Trupp Gestaltwandler. Paolo wird hier bleiben, damit ihm nichts zustößt, aber ich werde an Bord gehen!« Er stemmte die Hände in die Hüften. »Ich bitte nicht darum, ich verlange es!«
Erasmus schien sich zu amüsieren. »In diesem Fall solltest du lieber mit den Gestaltwandlern losziehen. Geh an Bord, Baron, und sei unser Gesandter. Ich bin überzeugt, dass du dich so diplomatisch verhältst, wie es die Situation erfordert.«